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TURBA DELIRANTIUM

 

 

Wissenschaft

Das Weltbild im Mittelalter

Gossouin von Metz L'image du Monde (um 1246)Man hört immer wieder, im Mittelalter habe man geglaubt, daß die Erde eine Scheibe sei, und insbesondere die Kirche habe dies gelehrt und mittels der Inquisition sogar Leute verbrannt, die anderer Auffassung waren. Eine derartige Kirchenlehre hat es jedoch nicht gegeben. Die kirchliche Lehrmeinung war, in Anlehnung an die Lehre des Griechen Ptolemäus, daß die Erde das Zentrum Weltalls sei, aber daß sie eine Kugel ist, gehörte zum ptolemäischen Weltmodell und war Allgemeinwissen.

Griechische Wissenschaftler hatten schon in der Antike nachgewiesen, daß die Erde eine Kugel ist und auch ihren Umfang gemessen. Aristoteles schrieb ein Werk, in dem er erklärt, woran man die Kugelgestalt der Erde erkennt. Aristoteles war nicht nur von der Kirche akzeptiert, er galt in der Kirchenlehre des Mittelalters als grundlegende Autorität in naturkundlichen Fragen.

Im spät-antiken Christentum des 1. bis 6. Jahrhunderts gab es einige wenige Autoren, die eine Scheibengestalt der Erde lehrten, doch nach dem 6. Jahrhundert wird in einer Fülle von Quellen von der Erdkugel gesprochen.

Neben den Textquellen existieren zahlreiche bildliche Darstellungen der kugelförmigen Erde. Auch symbolische Gegenstände, wie z.B. der Reichsapfel, zeugen vom Wissen über die Kugelgestalt der Erde.

Die irrige Vorstellung über das mittelalterliche Weltbild lässt sich auf die Zeit der Aufklärung zurückführen. Diese Zeit war geprägt von dem Bemühen. sich von Kirchen- und Mönchstum abzugrenzen und die den Klerus generell als ungebildet und Wissenschaftsfeindlich abzustempeln. Das vermeintlich flache Weltbild passte so besonders gut als Objekt der Ironie. 

Die Wiederentdeckung der Weltbeschreibung des Cosmas Indicopleustes Monachus, der eine flache, rechteckige Erde beschrieb, förderte diesen Irrglauben, da man das Werk des Cosmas als repräsentativ ansah. In der Tat war aber Cosmas ein eher obskurer Autor, der so gut wie keine Anhänger besaß.

Der amerikanische Historiker Jeffrey Burton Russell hat die Herkunft der Vorstellung erforscht. Sein Ergebnis ist: Vor etwa 1830 glaubte niemand, daß die Menschen des Mittelalters sich die Erde als Scheibe vorgestellt hätten (https://www.asa3.org/ASA/topics/history/1997Russell.html)

Das Thema der Form der Erde wird zudem noch meist mit einem anderen Streitpunkt der Weltvorstellung vermischt - nämlich mit der Frage, ob die Welt geozentrisch ist. Die Diskussion, die Leute wie Galilei, Kepler oder Bruno angestoßen hatten, ging nicht darum, dass die Erde eine Kugel ist sondern dass sie sich um die Sonne bewegt und nicht das Zentrum des Universums ist. In dieser Frage gab es in der Tat eine starke Opposition der Kirche gegen das heliozentrische Weltbild.

Im folgenden eine Liste von Autoren aus Spätantike und Mittelalter, deren Werke deutliche Hinweise auf die Kenntnis der Kugelgestalt der Erde enthalten. Bemerkenswert (für die allgemeine Vorstellung) ist der große Anteil von kirchlichen Autoren (bis hin zu Päpsten): 

Ambrosius von Mailand, Basilius von Caesarea, Augustinus, Calcidius, Macrobius, Martianus Capella, Boethius, Cassiodor, Bischof Jornandes (oder Jordanes), Isidor von Sevilla, der Westgotenkönig Sisebut, der irische Mönch Dicuil, Bischof Virgil von Salzburg, Beda Venerabilis, Theodulf von Orléans, Hrabanus Maurus, Remigius von Auxerre (Rémy d'Auxerre), Erzpriester Leo aus Neapel, Notker der Deutsche von Sankt-Gallen, Gerbert d'Aurillac (Papst Sylvester II), Hermann der Lahme, Adam von Bremen, Guillaume de Conches, Pierre Abélard, Honorius Augustodunensis, Hildegard von Bingen, Abu-Idrisi, Bernardus Sylvester, Petrus Comestor, Thierry de Chartres, Gautier de Châtillon, Alexander Neckam, Alain de Lille, Ibn-Ru?d (Averroes), Mose ben Maimon (Maimonides), Lambert de Saint-Omer, Gervaise de Tilbury, Robert Grosseteste, Johannes de Sacrobosco, Thomas de Cantimpré, Gautier de Metz, Jean de Meung, Peire de Corbian, Vincent de Beauvais, Brunetto Latini, Alfonso el Sabio, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Robertus Anglicus, Juan Gil de Zámora, Perot de Garbelei, Berthold von Regensburg, Roger Bacon, Meister Eckehardt, Ristoro d'Arezzo, Marco Polo, Dante Alighieri, Cecco d'Ascoli, Brochard der Deutsche, Fazio degli Uberti, Jean de Mandeville, Konrad von Megenberg, Nicole Oresme, Geoffrey Chaucer, Christine de Pizan, Pierre d'Ailly, Alfonso de la Torre, Enea Silvio Piccolomini (Papst Pius II), William Caxton, Toscanelli, Martin Behaim, Christoph Columbus.

Quellen:

Rudolf Simek
"Kugel oder Scheibe? - Das Bild von der Erde im Mittelalter"
Spektrum der Wissenschaft, Sonderheft Spezial 2/2002 
"Forschung und Technik im Mittelalter"
https://www.wissenschaft-online.de/artikel/604748

Autor: Gunter Krebs

 

 

Ego Gunter Krebs indignus programator scripsi hunc situm TelaeTotiusTerrae anno domini 2003 Turba Delirantium
© by Turba Delirantium und Gunter Krebs (2003), alle Rechte vorbehalten  Jegliche Veränderungen, Kürzungen, Nachdrucke (auch auszugsweise) bedürfen der Genehmigung der Verfasser.

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