Der
A-Standard - Authentisches Reenactment?
uthentizität - das
Schlagwort für alle Mittelalter-Reenactors. Aber das A-Wort ist etwas woran sich viele
Geister scheiden. Wie authentisch kann Reenactment sein, wie authentisch muß es sein -
Fragen über Fragen. Und niemandem kann man es vollkommen Recht machen.
Jeder fängt mal klein an: Man geht auf einen
Mittelaltermarkt, hat seinen Spaß an der Sache und schnell folgt die Feststellung:
Ja, das wollen wir auch! Gesagt, getan, das Rüschenhemd angezogen, den Umhang
umgeworfen, Trinkhorn in den Gürtel gesteckt, fertig! Mittelalterlich! Oder???
Unsere erste Begegnung mit einem A-Virus
Infizierten verlief nicht so glücklich: Wir belauschten ein Streitgespräch über die
Authentizität irgend eines Knopfes und wir dachten: "nee, solche Rosinenpickerei
muß echt nicht sein, das verdirbt einem ja den ganzen Spaß."
Aber irgendwann fragt man sich schon: Waren die
Gewandungen wirklich so? Trug man den Bidenhänder wirklich auf dem Rücken? Hatten die
Ritter wirklich die Ritterpfanne mit Kartoffeln und Tomaten gegessen?
Und so kam bei uns (bei manchen eher, bei anderen
später (wie bei mir) der Entschluss, die A-Fanatiker nicht mehr müde als Spaßverderber
zu belächeln, sondern die Seiten zu wechseln und selbst Nachforschungen anzustellen.
Obwohl wir allesamt Schul-Geschichtsunterrichts- Geschädigte waren, fanden wir nun
unseren Weg in unsere Vergangenheit. Und es machte Spaß.
Daher vielleicht mal einige Worte zu unserer
Einstellung:
Vollkommene 100%ige Authentizität ist, das muß
man leider sagen, unmöglich. Vieles, was das Leben im Mittelalter ausmachte, ist uns
leider gar nicht überliefert, bzw. nicht erhalten geblieben. So muß man in vielen
Fällen auf Interpretationen zurückgreifen, die nicht wirklich historisch nachprüfbar
sind, sondern nur als wahrscheinlich eingestuft werden. Diese Interpretationen
müssen natürlich begründbar beleiben und nicht pure Spekulation sein nach dem Motto
"Die waren ja nicht blöd damals, das hätte es gegeben haben können...".
Wir machen Abstriche bei der Authentizität, wenn
es um gesundheitliche Aspekte, Fragen der Sicherheit oder Hygiene geht. Sicher, das sind
auch spannende Themen und wir forschen durchaus danach, aber wir werden niemanden dazu
zwingen, ohne seine Brille durch die Gegend zu tappen, wir werden weder giftige authentische Farben verwenden, noch auf die
Methoden der modernen Körperhygiene verzichten noch heute geschützte
Tierarten als Lebensmittel verzehren.
Kompromisse macht auch die Sprache nötig. Nein,
wir sprechen (leider) kein Mittelhochdeutsch. Aber die allseits tönende Marktsprache
fanden wir auch nicht der Weisheit letzten Schluss. Das war auch nicht nur nicht
mittelalterlich, sondern irgendwie verballhorntes Luther-Deutsch (man bedenke: Luther hat
geschrieben, aber wenige Menschen reden so, wie sie schreiben). Zudem weiß die Hälfte
der Marktsprecher offenbar gar nicht, was sie sagen. Daher bleiben wir dem Hochdeutsch in
der Unterhaltung treu.
Aber wir haben uns als Ziel gesetzt, soviel
Authentizität wie möglich in unser Reenactment zu bringen. Das ist ein langwieriger
Prozess, speziell für eine noch so junge Gruppe wie uns. Das heißt, am Anfang entspricht
das, was wir wollen, leider noch nicht dem, was in der Realität ist. Auch kann man sein
Ziel nicht von jetzt auf gleich umsetzen, allein schon aus finanziellen und zeitlichen
Grenzen. Faule Kompromisse wollen ebenso gerne vermeiden, auch wenn es etwas länger
dauert.
Und auch das Hintergrundwissen sollte nicht zu
kurz kommen: Denn ohne dieses ist man vielleicht eine nett anzusehende
Mittelalter-Anziehpuppe, aber man wird wenig über das Leben in vergangenen Zeiten wissen.
Aber wir arbeiten daran, deshalb lagern wir zum
Beispiel noch nicht, sondern widmen uns momentan sehr viel dem Quellenstudium, um soviel
wie möglich aus Primärquellen zu lernen und das nach und nach in die Praxis umzusetzen.
Denn schließlich wollen wir ja nicht, das wir viel Mühe in etwas stecken, und es sich
als Anachronismus erweist. Manchmal ergeben sich unsichtbare Verbesserungen, wie z.B. authentischer Holz-Leim aus dem 12.
Jahrhundert, dessen Verwendung kein Mensch sieht, aber trotzdem ist es ein Erlebnis, so
was mal selbst hergestellt zu haben und zu wissen wie das funktioniert.
Und so befinden wir uns auf unserem Weg, unseren
A-Standard anzuheben, bis wir auch in der Lage sind, unseren eigenen Ansprüchen zu
genügen und dann auch (hoffentlich im Sommer 2004) auch an Veranstaltungen teilnehmen zu
können.
Autor: Gunter Krebs |