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TURBA DELIRANTIUM

 

 

Tiere

  Ausbildung zum mittelalterlichen Streitroß:

Streitross aus der KreuzfahrerbibelDieser Bericht dient als Wegweiser, wie man ein halbwegs nervenstarkes, normales Reitpferd oder -pony auf mittelalterliche Marktturniere vorbereitet und auf was es dabei in der Ausbildung ankommt. Und natürlich beschreibt er im besonderen auch den Werdegang meines eigenen Pferdes. Andere Reiter machen andere Erfahrungen und nicht alles kann 1:1 für jedes Tier übernommen werden.

Die Ausbildung des heutigen Pferdes für Schauturniere kann man nicht mit der mittelalterlichen Ausbildungsweise und Reitweise vergleichen. Ebensowenig kann ich in kurzen Worten die verschiedenen regionalen und historischen Reitweisen erklären und vorstellen. Ich möchte auch keine Wertung der einzelnen Reitweisen auf ihre Eignung für mittelalterliche Turniere abgeben. Jede hat ihre Vor- und Nachteile, die berücksichtigt werden müssen. Und grundsätzlich sollte alles zum Wohle des Pferdes ausgelegt sein - nicht zum Darstellungswillen des Reiters.

Ich selbst bin stolze Besitzerin eines Fjordpferdes. Ponies werden allgemein immer etwas belächelt und nicht ganz ernst genommen, als ob sie nur als Kinderpferde etwas taugen. Solche Kommentare höre ich auch von Zuschauern auf Turnieren immer wieder. Doch wer sich etwas mehr mit Pferden im allgemeinen und alten Rassen im besonderen beschäftigt, wird überraschende Erkenntnisse gewinnen.

Daß es sich bei den Fjordpferden um eine der ältesten noch rein erhaltenen Pferderassen in Europa handelt, ist unbestritten. Auf diversen Bildsteinen und Zierbeschlägen der Wikingerzeit (600-1000 a.D.) lassen sich Pferde im Norwegertyp (besonders markant: der kräftige Hals und die zweifarbige Stehmähne) ausmachen.

Einen schönen Nachweis liefert auch der berühmte Teppich von Bayeux, eine zeitgenössische Dokumentation der Eroberung Englands durch Wilhelm den Normannen im Jahre 1066. Hier sind eindeutig Fjordpferde neben vielen anderen Rössern dargestellt: falbfarben, mit zweifarbiger Stehmähne auf kräftigem Hals (mittleres Pferd).

Man erkennt auf dem Teppich von Bayeux aber auch noch etwas anderes: Pferde mit unterschiedlichstem Aussehen sind gezeigt. Das unterstreicht einmal mehr, daß ein gutes Roß weder eine bestimmte Rasse noch eine bestimmte Farbe hat.

Doch was muß ein Pferd können und wie sieht die Ausbildung aus, die es zum Streitroß für heutiges Turnier- und Marktgeschehen befähigt?

Das wichtigste ist das absolute Vertrauen in seinen Reiter. Außerdem darf das Tier nicht schreckhaft sein und muß frühzeitig an Waffenlärm gewöhnt werden. Schwerter, die auf Schilde hämmern oder klirrende Klingen kommen nicht im normalen Pferdeumfeld vor und sind auch für menschliche Ohren gewöhnungsbedürftig.

Turniere

Neben dem Kampf muß das Pferd auch die Turnierlektionen sicher beherrschen. Dazu gehört, daß es schnurgerade an den Schranken entlang galoppiert ohne noch groß angetrieben zu werden. Gerade bei den Exerzitien des mittelalterlichen Turniers zeigt es sich, wie wichtig die Ausbildung auf Stimme und zügelunabhängiges Reiten in der Versammlung (Hauptlast auf der Hinterhand des Pferdes, das Pferd trägt sich und balanciert sich über die Rückenmuskulatur aus) ist. Normalerweise besteht das mittelalterliche Turnier aus 4 Standardübungen: dem Ringe stechen, der Sauhatz, dem Hälseschlagen und dem Ritt auf den Roland. Nach Bedarf kommt noch der Tjost, die Baccordia oder ein Feuerritt hinzu.

Ringe stechen:
Für das Pferd ist dies eine der leichtesten Übungen. Wichtiger ist die ruhige Hand des Reiters, die Zielgenauigkeit und die Handhabung der Lanze - schnell hat man nämlich mit dem kurzen Ende seinem Pferd einen Schlag auf den Allerwertesten verpaßt.

Sauhatz:
Hier handelt es sich um die Simulation einer Jagd, der damals beliebtesten Freizeitbeschäftigung der hohen Herren und Damen. Die Übung sieht leicht aus, hat's aber in sich, denn etliche Pferde mögen die Wildschweinatrappe nicht und versuchen eine Bogen darum zu schlagen ....

Hälseschlagen:
Das Hälseschlagen erfordert für das Pferd die meiste Übung, da es den herunterfallenden Holzklötzen instinktiv ausweichen will und so den nächsten Schlag des Reiters außer Reichweite bringen würde. Also muß hier gegen den Reflex gearbeitet werden und das Pferd muß überzeugt werden, auf der Linie weiterzulaufen.

Ritt auf den Roland:
Wer kennt sie nicht, die sich drehende Puppe mit Schild und Sandsack an den ausgestreckten "Armen"? Da hier die Anzahl der Rotationen gezählt wird, in die man die Puppe mit der schweren Lanze versetzt, muß man möglichst schnell anreiten und kräftig zustoßen. Aber wehe, man ist nicht schnell genug weg, dann wird man vom Sandsack aus dem Sattel gehauen!
Vom Pferd wird hier ein hohes Maß an Balance verlangt, da die Aufprallwucht auf den Schild des Rolands recht stark ist. Reiter und Pferd müssen hier ein Team bilden, das gemeinsam den Aufprall abfängt.

Tjost:
Der Tjost ist das berühmte Lanzenstechen. Dabei muß der Gegner mit der Lanze aus dem Sattel geholt werden. Da dies die für alle Beteiligten gefährlichste Übung ist, sieht man den Tjost nur selten. Und wenn wird er von Reitern ausgeführt, die sich kennen, miteinander trainieren und die ihre Waffen und Rüstung entsprechend "präpariert" haben (Lanzen mit Sollbruchstelle und/oder besonderer Körperschutz unter der Gewandung). Auch hier gilt wie beim Roland, daß der Aufprall von Pferd und Reitern gemeinsam abgefangen werden muß.

Baccordia:
Die Baccordia ist eine der unterhaltsamsten Lektionen. Mit Strohsäcken gehen alle Reiter aufeinander los, gewonnen hat, wer als letzter im Sattel sitzt. Einziges Risiko ist die Gefahr von Ballentritten oder Keilereien unter den Pferden, wenn diese sich nicht kennen. Bei dieser Übung zeigt sich, wer ein feinfühliges, wendiges Pferd hat und ausbalanciert im Sattel sitzt!

Feuerritt:
Schönes Finale vieler Turniere ist der Ritt durch eine Flammenwand, die in der Herde und mit nassen Beinen und Schweifen relativ ungefährlich ist. Allerdings muß das Pferd an den Qualm gewöhnt werden und es sollten immer genug erfahrene Tiere dabei sein, die vorweg gehen, dann verliert auch das Feuer seinen Schrecken.

Alle diese Exerzitien erfordern ein Höchstmaß an Gehorsam und Nervenstärke vom Pferd. Mein jetzt neunjähriger Norweger Janosch wurde deshalb von Anfang an von mir an die mittelalterlichen Übungen gewöhnt. Ich habe ihn sehr stark auf Stimmhilfen eingestellt, damit er in den Turnierschranken aus dem Stand in den Galopp anspringt und am Ende der Bahn gut versammelt durchbremst über Trab in Schritt und Wendung. Immer wieder heißt es im Dressurviereck für ihn "durch die Länge der Bahn wechseln", Angaloppieren und Bremsen. Mit Fortschritt der Übungen kann man auch dazu übergehen, das ganze freihändig und ohne Zügeleinsatz zu reiten.

Aus Hindernisständern kann man sich Ersatz-Turnierschranken bauen, kann diese mit Material bestücken, was dann im Galopp heruntergeschlagen wird. Die Sauhatz kann man üben, indem man einen Holzstab auf eine Markierung am Boden wirft. Erst mal geht es ja darum, den besten Abwurfmoment in der Bewegung des Pferdes zu finden und zielsicher zu werden. Das Material zum Ringestechen bekommt man im Baumarkt: Ringe aus Weidengeflecht oder Strohringe und eine Grillzange aus Holz. Damit kann der Helfer am Boden relativ gefahrlos die Ringe halten, während der Reiter das Zielen übt (Handschuhe für den Helfer nicht vergessen!).

Eine solide Ausbildung und Gymnastizierung sind Grundvoraussetzungen, damit das Tier nicht frühzeitig an Gelenken und Bändern verschleißt. Ein feurig heranbrausendes Roß sieht zwar toll aus, wenn dieses aber am Ende der Schranken nur über die Vorderbeine bremst und nicht gelernt hat, sein eigenes und das Gewicht des Reiters auf die Hinterhand zu verlagern, sind Schäden an Sehnen und Gelenken vorprogrammiert. Leider ist dies ein viel zu vertrautes Bild bei vielen Turnieren .... .

Nervenstärke kann man durch kleine Parcours mit Flatterbändern, Klappersäcken, Wippen trainieren, oder man reitet am Wochenende mal einen stark frequentierten Spazierweg entlang. Dann kann sich das Pferd schon mal an Menschen rund um ihn herum gewöhnen. Spaziergänge an der Hand kann man schon mit einem jungen, noch nicht eingerittenen Pferd machen - das fördert das gegenseitige Vertrauen ungemein.

Ansonsten heißt es üben, üben, üben. Kennt das Pferd bereits die Lektionen, wenn es sein erstes Turnier bestreitet, muß es sich nur an die Menschenmenge und den Krach außenherum gewöhnen. Die Lektionen werden dann unter "kenn ich schon" verbucht.

Kampftraining

Schwieriger ist das Kampftraining, da hier entgegen einem der Grundinstinkte gearbeitet wird. Das Pferd soll einen Menschen "umrennen" und eben nicht ausweichen. Dabei hat sich mein Freund als "Opfer" zur Verfügung gestellt und stand zunächst nur mit ausgestreckten Armen mitten in der Bahn. Wir sind immer dichter an ihm vorbeigeritten, wobei die Pferdenase immer auf die Hand zielte. Kurz vor Berührung dreht der "Fußsoldat" natürlich die Hand weg, daß Janosch nicht eins auf die Nase bekommt. Das ganze kann dann mit stumpfen (!) Waffen trainiert werden, z.B. mit einem Stock auf einen Schild reiten oder der Reiter kann den Fußsoldaten mit dem Stiefel touchieren.

Anfänglich zögerte Janosch natürlich: "kann ich den Mann wirklich wegdrängen?" und verlangsamte seine Schritte deutlich "der wird doch gleich ausweichen". Als er jedoch merkte, daß der Mensch entweder genau an dem Punkt stehenbleibt oder den Arm im letzten Moment wegzieht, marschierte er willig los.
Beruhigend ist, daß dies nur funktioniert, wenn Janosch den Menschen gegenüber kennt und von mir das eindeutige Signal "geradeaus weiterlaufen" bekommt. Unbekannten wird Janosch immer ausweichen statt sie umzurempeln.

Die nächste Steigerung ist dann der Schildwall, der aus mehreren Fußkämpfern gebildet wird. Auch hier habe ich wieder langsam angefangen: erst mal im Schritt auf die Gruppe zu, anhalten, Pferd an den Schilden schnüffeln lassen. Dann wurde abgesprochen, an welcher Stelle der Schildwall aufgeht, wenn wir angeritten kommen. Wie bei den Lektionen zuvor wird auch hier im letzten Moment aufgemacht, daß das Pferd unbeschadet und ohne Gefahr für die Füße der Kämpfer weiterlaufen kann.

Die Fußsoldaten dürfen natürlich auch keine Angst vor Pferden haben. Es ist nämlich ein Riesenunterschied, ob man einem Menschen Auge in Auge oder einem Reiter gegenübersteht. Das Schildwalltraining mache ich nur mit Freunden, die auch mein Pferd gut kennen und die ihre eigenen Reflexe (Ausweichen, zurückzucken, Schild hochreißen, wenn das Pferd angerannt kommt) beherrschen können. Dann ist die Gefahr, daß was passieren könnte - und wenn es nur platt getretene Füße sind - relativ gering.

Janoschs Ausbildung dauert mittlerweile 5 Jahre - und ist noch lange nicht beendet, es ergeben sich immer wieder neue Situationen und Herausforderungen. Nächstes Ziel ist die verstärkte Arbeit mit dem Schildwall und meine Treffsicherheit am Roland. Jaja, die Dinger sind halt immer für Großpferde gebaut... .

Natürlich stellt sich auch die Frage, welche Zäumung und welche Sättel wurden verwendet? Im Aufbau hat sich beim Zaumzeug kaum etwas verändert. Die herkömmlichen Trensen kann man durch Zierbeschläge oder durch aufwendiger gearbeitete Stirnriemen oder Backenstücke nach historischen Vorlagen aufpeppen. Die spanischen oder provenzalischen Hirtensättel kommen den mittelalterlichen Vorbildern am nächsten. Wenn man die handelsüblichen Filly-Steigbügel gegen Korbbügel oder gegen spanische Steigbügel austauscht, stimmt auch hier die hochmittelalterliche Optik

Um so besser natürlich, wenn man über das nötige Kleingeld verfügt oder einen Sattler im Freundeskreis hat, und sich einen Sattel nach historischem Vorbild anfertigen lassen kann. Je mehr die Optik stimmt, um so besser für die Darstellung!

Aber grundsätzlich gilt: das Pferd hat sich das Hobby nicht ausgesucht, auch wenn Janosch die Turniere Spaß machen. Sattel und Zaumzeug müssen passen und für Pferd und Reiter bequem sein. Gamaschen, Sehnenschoner, alles was nützt und schützt, können problemlos auch auf mittelalterlichen Veranstaltungen getragen werden. Hier habe ich mich noch nie rechtfertigen müssen, wenn ich mit Neoprensehnenschonern (die leider medizinisch erforderlich geworden sind) am Pferd angetreten bin.

Janosch ist durch das intensive Training und die mittlerweile gesammelte Turniererfahrung zu einem gerne gesehenen Lagerbewohner geworden, der schon seinen festen "Fanclub" hat.
Ein Pferd im Lager heißt aber auch erhöhte Aufmerksamkeit, daß das Tier zwischen den Auftritten seine Ruhe hat, daß immer genügend Wasser da ist, daß der Paddock frei von verletzungsträchtigen Gegenständen ist (sollte selbstverständlich sein), daß das Pferd im Lager keinen Unfug anstellt: "wo war nochmal der Essensvorrat? Kann man die Zeltabspannung fressen?"

Durch Janoschs ruhiges, unkompliziertes Wesen haben sich schon viele schöne Situationen ergeben. Angefangen von interessierten Fragen zum Hufaufbau (ein Marktbesucher) bis hin zum Besuch eines Wikingers im Paddock, dem bis dahin Pferde immer zu groß und unheimlich waren.

Und wenn Janosch mich eines Tages spüren läßt, daß er nicht mehr auf Lager und Turniere gehen will, werde ich dies respektieren und schweren Herzens alleine losziehen.

Euch allen viel Spaß mit Euren Vierbeinern und eine erfolgreiche Saison!

Autor: Ameli Ganz

Copyright: Ameli Ganz, Am Sandrain 5, 64397 Modautal-Brandau
jeglicher Nachdruck, auch in verkürzter Form, bedarf der Genehmigung der Verfasserin

 

 

Ego Gunter Krebs indignus programator scripsi hunc situm TelaeTotiusTerrae anno domini 2003 Turba Delirantium
© by Turba Delirantium und Gunter Krebs (2003), alle Rechte vorbehalten  Jegliche Veränderungen, Kürzungen, Nachdrucke (auch auszugsweise) bedürfen der Genehmigung der Verfasser.

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